Wirr ist das Volk!

In der Politik funktioniert Populismus oft, um Wähler für sich zu gewinnen. Populisten aus dem rechten oder linken Lager kritisieren die Elite und versprechen für das “wahre” Volk zu kämpfen. Der Kontext analysiert das vermeintliche Erfolgsrezept in einer detailreichen Themenlandkarte. Im Blog liest du darüber, wieso Demokratie dem Populismus den Garaus machen kann.

 

„Ich möchte mit Ihnen darüber nicht reden!“ entgegnen viele Protestwähler, wenn Forscher sie um ihre Meinung zu populistischen Inhalten und Argumenten beten. Im Internet hingegen trauen sie sich eher frei von der Leber weg zu sprechen. Der Einwanderungspolitik von US-Präsident Donald Trump stimmen am Telefon etwa 38 Prozent der Befragten zu, anonym befragt aber 52 Prozent. Die Erwartung, dass Wissenschaftler die eigenen Ansichten nicht teilen oder gern andere Antworten hören würden, lässt viele verstummen. “Da spielt der Aspekt der vermeintlichen sozialen Erwünschtheit eine große Rolle”, gibt Sozialwissenschaftler Julian Aichholzer von der Universität Wien zu.

 

Wenn viele Wähler populistischer Parteien und Politiker wie die AfD oder Donald Trump sogar wissen, dass ihre Meinung umstritten ist, wieso beharren sie weiter darauf? Es ist ihr Recht eine umstrittene Meinung zu haben und diese zu argumentieren, schließlich sind in einem Diskurs andere Perspektiven wertvoll, um Lösungen zu finden. Aber wieso wollen sie gar nicht diskutieren? Sind eventuelle Gesprächspartner manipuliert und voreingenommen? Hören wir überhaupt zu?

 

Populismus ist nicht grundlos da

 

Populismus würde es ohne Fehler der Eliten gar nicht geben, einerseits. Andererseits stehen die Treiber des Populismus auf wackeligen Beinen: Diffuse Ängste vor Globalisierung, Islamisierung und Migration sind in Anbetracht der Fakten unbegründet. Deutschland profitiert von dem weltweit vernetzten Markt, der Lebensstandard stieg. Die “Islamisierung des Abendlandes” besteht darin, dass in einem Zeitraum von 15 Jahren gerade einmal eine Million Muslime einwanderten. Und Migration führt langfristig zu Wirtschaftswachstum, da die Nachfrage steigt und Ausländer dort einspringen, wo es an Arbeitskräften mangelt. Natürlich sind Politik und ihre Auswirkung nicht so einfach und eher komplex.

 

Gleichzeitig gestaltet sich das eigene Leben nicht einfach und fordert oft viele Ressourcen. Die ausführliche und offene Auseinandersetzung mit Politik und aktuellem Weltgeschehen fällt nach bewältigten oder nicht ganz so bewältigten Herausforderungen im Alltag oft aus. Drängt die Demokratie dann zur Wahlentscheidung oder die Enttäuschung zur Protestaktion wie bei Pegida, ist der Moment des Populismus gekommen.

 

Die Rückbesinnung auf das eigene Volk scheint bei Gefühlen der Enttäuschung und Missmut naheliegend zu sein und ist die Kerndefinition von Populismus. Die ersten populistischen Bewegungen vertraten die Interessen der Bauern und idealisierten das Landvolk. Russische Narodniki der 1860er und 1870er wollten einen Bauernstaat durchsetzen und die amerikanische People’s Party entwickelte sich aus der Farmer’s Alliance. Heute sind die Unterstützer von Populismus auch Mitglieder der gut verdienenden bürgerlichen Mittelschicht, wie 2016 die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten zeigte. Populisten erstarken zudem dann, wenn sich die Schere zwischen arm und reich vergrößert, wenn sich das Leben auf dem Land und in der Stadt sehr unterscheidet und das Gefühl herrscht, die Politik orientiere sich nicht an Wählerinteressen.

 

Bitte, keine Ausreden!

 

Die Reaktion der Elite, also der etablierten Parteien, hängt vom Einzelfall ab. Die mitreißende Richtung populistischer Parteien drängt jene mit inklusivem Blick auf die Gesellschaft aus der Reserve. Ihre Strategien sind Ignorieren, Nachmachen oder dagegen Argumentieren. Letztere verspricht nachhaltigen Erfolg, da im Idealfall bei jedem Punkt und zu jeder Zeit mit Argumenten und Diskussionen dagegen gehalten wird: Fragen stellen, den anderen ernst nehmen, Lösungen vorschlagen.

 

Dabei fehlt etablierten Parteien keineswegs der Argumentationsstoff. Der Rückzug ins Nationale, wie ihn Populisten verfolgen, birgt Gefahren: Die Aufgaben der internationalen Gemeinschaft macht vor Ländergrenzen keinen Halt, wie etwa der Klimawandel, gerechte Wirtschaftspolitik oder Migration. Die Kooperation ermöglicht hier positive Ergebnisse. Die Probleme entstanden mit der Globalisierung und können ohne sie nicht gelöst werden.

 

Eliten besitzen durch ihre Macht in diesen Problemfeldern Handlungspotential, nützen sie aber zuweilen nicht wirkungsvoll und verwehren ihren Wählern Ehrlichkeit: Laut Georg Seßlen, Autor von “Trump! Populismus als Politik“, instrumentalisiert die US-amerikanische Elite die staatliche Gewalt und Gesetzgebung, um sich vor der Selbstbestimmung der Benachteiligten zu schützen. Die Mythologie des amerikanischen Traums dient als Legitimation der Vorherrschaft: Nur wer hart arbeitet und groß träumt, kann sich sein Glück erkaufen. Seßlen fragt sich, ob diese Erzählung noch “unsere Sprache” ist.   

 

Demokratie als Lösung

 

Populismus greift aus dieser Perspektive berechtigte Enttäuschung auf. Allerdings kann in einer Regierung umgesetzter Populismus unwahrscheinlich zu mehr Wohlstand und Freiheit führen. “Man gewöhnt sich schnell daran, dass Demokratie gegeben ist und dass die liberalen Werte ein Teil unseres Alltags sind. Und Teil dieser positiven Nachricht sollte sein, dass die pluralistische Demokratie unseren Fortschritt erlaubt und Chancen schafft”, erklärt Bartek Pytlas. Er ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Systeme und Europäische Integration an der Ludwig-Maximilians-Universität in München tätig und sprach mit Der Kontext über die Entwicklung von Populismus.

 

Die Entschärfung von Populismus liegt also nicht bei bestimmten Personen in der Politik und Gesellschaft, sondern zwischen ihnen. Wer nicht nur an sich denkt, sondern dem Anderen sowohl Bedürfnisse als auch Köpfchen zugesteht, entwickelt sich weiter – egal woher der Andere kommt.