Die Erschaffung der Künstlichen Intelligenz

Wie sieht Künstliche Intelligenz aus? Wenn man die Google Bildersuche fragt, erhält man ein eindeutiges Bild. Zumindest die Richtung ist klar. Die KI ist blau, besteht wahlweise aus Nullen und Einsen oder aus Platinenleitern. Sie ist entweder ein menschenähnlicher Roboter oder zumindest ein Gehirn aus strahlenden Linien. Künstlich halt, und natürlich technisch. Passt ja auch. Irgendwie.

Ergebnis der Google-Bildersuche zum Stichwort KI

Als wir die Der Kontext Ausgabe zur Künstlichen Intelligenz visuell umsetzten, war dies eine der ersten Fragen, die wir uns stellten. Ist es doch immer schon unser Anliegen, jedes Thema nicht nur inhaltlich breit zu beleuchten, sondern jede Themen-Map auch visuell kohärent zu gestalten. Bei KI gar nicht so einfach, ist doch dieses technische Thema schwer greifbar, meist virtuell in der Anwendung und oft nur theoretisch in den Auswirkungen. Die gängige Bildsprache schien uns zu abgedroschen, zu offensichtlich, aber allem voran zu oberflächlich.

Klar, Künstliche Intelligenz ist eine informationstechnologische Anwendung. Aber auch wenn dieses Thema aktuell einer der Spitzenreiter unter den Megatrends ist, ist es keineswegs neu. Im Gegenteil, es gab in den letzten 65 Jahren schon einige KI Hypes. Aber ob nun einst oder heute: Alles Potential, das die Künstliche Intelligenz verspricht, entsteht nicht nur dank dem Können der Softwareentwickler und den immer besseren technischen Voraussetzungen. Es entsteht erst aus der Vorstellungskraft des Menschen.

Während unserer Recherche entpuppte sich dieses Thema, mit all seinen technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Seiten, als ein sehr philosophisches. Denn neben dem Erfindergeist und eines technologischen Umsetzungsgenies, braucht die Künstliche Intelligenz allem voran auch ein Nachdenken über das, was sie dürfen soll, wie die Rahmenbedingungen aussehen müssen und welche ethischen Normen die Basis bilden sollen. Oder anders: Eine klare Zeichnung davon, wie das Leben zwischen Mensch und Maschine funktionieren kann und soll. Keine einfache Aufgabe, bedenkt man doch, dass Technik keine geopolitischen- und/oder ethischen Moralgrenzen kennt.

Wir suchten also nach einem Bild das mehr kann, als die technischen Aspekte in den Vordergrund zu hieven. Darum wendeten wir uns von der Google Bildersuche ab und suchten die Inspiration an anderem Ort. Und landeten schliesslich (zumindest virtuell) in der Vatikanstadt, in der Sixtinischen Kapelle. Dort strahlt von der Decke eines der wohl berühmtesten und am meisten reproduzierten Werke von Michelangelo: Die Erschaffung Adams. Das Fresko ist berühmt für die Abbildung des Moments, in dem Gottvater den Lebensfunken an Adam überträgt: Beide strecken sich jeweils einen Arm und einen Finger entgegen und berühren sich beinahe.

Die Erschaffung Adams (Michelangelo)
Die Erschaffung Adams (Michelangelo)

Spannend an diesem Gemälde fanden wir aber nicht nur diesen Moment der Erschaffung, sondern eine Interpretation, eine Spekulation zur Idee hinter der Gesamtdarstellung, die wohl erstmals der Neuromediziner Frank Meshberger aufwarf. Demnach verfügte Michelangelo über neuroanatomische Kenntnisse, die er in seinen Gemälden verarbeitete.  Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass Gottvater nicht nur vor einem roten Tuch mit Putten schwebt, sondern, dass dieser Hintergrund einen exakten Querschnitt des menschlichen Gehirns darstellt.

Auch wenn das Gemälde in einer Zeit entstand (1508-1512), in der der Glaube an die Kirche über allem stand und naturwissenschaftliche Erkenntnisse von der Kirche geächtet wurden, so gibt es doch sehr gute Erklärungen dafür, woher Michelangelo derartige anatomische Kenntnisse gehabt haben kann. Maler der Renaissance, wie er oder auch Leonardo da Vinci, studierten den Menschlichen Körper sehr gewissenhaft. Sie untersuchten, wie die Organe und Glieder zusammenspielen und nahmen mitunter auch anatomische Sektionen vor. Ein fundiertes anatomisches Wissen scheint also nicht abwegig.

Zeigt die „Erschaffung Adams“ also vielmehr Gott als den menschlichen Geist? Also den Menschen, der sich aus seiner Vorstellungskraft selbst erschafft? Die Einheit von Körper und Geist? Ob es nun so gemeint war oder doch ganz anders, können wir an dieser Stelle leider nicht klären. In jedem Fall aber fanden wir diesen Gedanken sehr inspirierend und auf vielen Ebenen passend für unser Thema Künstliche Intelligenz, weshalb wir das Deckenfresko in einem digitalen Meme aufgriffen und in einer Kollage dem Der Kontext-Thema entsprechend zusammen setzten. Eine Hommage an den Freigeist Michelangelo.

Das Titelblatt zur Themenedition „Künstliche Intelligenz“ von Der Kontext

Wie es sich für KI gehört, zeigt auch unser Titelblatt ein Gehirn. Wir entschieden uns aber weder für eine realistische Darstellung noch für eine Zeichnung aus Platinenleitern, sondern haben das Gehirn mit Hilfe der Programmiersprache Processing  aus vielen Einzelzeichen generiert. Die Basis hierfür war ein Pixelbild, das ein Gehirn realistisch abbildet. Ein Algorithmus interpretierte und rechnete alle Pixel, mit einer vorher festgelegten Anzahl an Einzelzeichen, automatisch zum neuen Bild um. Was einfach klingt, aber vieler Versuche bedurfte, bis das Ergebnis passte.

Die Gehirnareale Anwendung, Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, und Philosophie bilden den Hintergrund der Schöpferkraft. Sie finden sich etwa dort, wo vorher die Putten in Michelangelos Gemälde platziert waren. Wobei sich, wie auch bei Michelangelo, der Schöpfer direkt aus dem präfrontalen Kortex erstreckt, um mit seinem Fingerzeig die KI zu erschaffen. Also direkt aus der Gehirnregion, in der auch die Moral sitzt. (Im übertragenen Sinne versinnbildlicht dies die Hoffnung auf einen vernünftigen, sinnvollen und eventuell geregelten/regulierten Einsatz von KI.) Und auch wenn die Farbe gelb statt rot ist, erkennt vielleicht der Eine oder die Andere in dem großen KI Punkt, auf den Gott zeigt, Stanley Kubricks und Arthur C. Clarkes Hal 9000.

Die Produktion dieses Titelbildes entspricht in seinen Überlegungen und den vielen Schritten, die für die Erstellung nötig waren, auch sinnbildlich dem Zustand der KI-Technik von heute: Es braucht viel Überlegung bis sie zum Einsatz kommt, ein bisschen geht automatisch und noch ist meist sehr viel eigene Handarbeit nötig, um alle Einzelteile zusammen zu fügen.

 

 


Quelle Abbildung „Die Erschaffung Adams“