Datenjournalismus bei Der Kontext

Mit jeder Kontext-Ausgabe zeigen wir die Zusammenhänge in einem neuen Themenkomplex auf. Daten zu visualisieren ist dabei für uns eine Möglichkeit, wie wir einen anderen Zugang zu einem Thema bieten können und neue Facetten des Themas aufzeigen.

Als Journalistin bin ich begeistert von all den erzählerischen Möglichkeiten, die das Netz bietet. Als Naturwissenschaftlerin habe ich eine Affinität zu Zahlen. Datenjournalismus schien für mich die perfekte Kombination von beidem.

Mit Excel und den verfügbaren Tools kommt man schon recht weit, aber ich hatte — gerade als freie Journalistin — immer den Eindruck, dass ich effizienter sein muss, um Daten wirklich in meine tägliche Arbeit integrieren zu können. Deswegen habe ich mich entschieden Programmieren zu lernen.

Ich hatte das große Glück an der Columbia Journalism School in New York City angenommen zu werden, um dort im Sommer 2016 das Lede Program zu absolvieren.

Realitätscheck: Datenjournalisten und Politikjournalisten

„Ach, dann kannst Du ja bald über Big Data schreiben“, sagte ein ehemaliger Kollege, als ich von meinen USA-Plänen berichtete. Es dauerte eine Weile, bis ich verstand, dass viele noch die Analogie ziehen „wenn Politikjournalisten über Politik berichten, dann berichten Datenjournalisten über Daten!“ Wenn man einen Vergleich ziehen will, dann funktionieren Videojournalisten viel besser als Parallele: So wie VJs Video als Medium benutzen um Geschichten zu erzählen, verwenden Datenjournalisten Daten dafür.

Mit der Anaylse und visuellen Aufbereitung von Daten lassen sich Geschichten um neue Facetten ergänzen — wie beispielsweise in unserer Kontext-Ausgabe zur Energiewende.

Deutschland gilt ja immer als Vorbild in der Energiewende, ich habe mich gefragt, ob und wie man das an Energie-Daten festmachen kann. Die Analyse hat gezeigt, dass es etwa so ist, als ob ich allen anderen gesundes Essen empfehle, aber selbst hauptsächlich Burger verspeise.

Zwar produziert Deutschland im EU Vergleich in absoluten Zahlen die meiste grüne Energie. Aber beim Verbrauch sind wir nur im mäßigen Mittelfeld unterwegs.

Auch bei den Importen sieht es nicht so aus, als wenn Deutschland strategisch vor allem auf grüne Energie setzt: Der Großteil der importierten Energie stammt aus fossilen Energiequellen. Länder, die viel mehr grüne Energie im Strommix haben, bieten Elektrizität zu deutlich günstigeren Preisen an — während in Deutschland die EEG-Umlage und damit der Strompreis für Verbraucher steigt.

Diese Informationen hätten wir sicherlich auch auf anderem Wege herausfinden können — aber der Aufwand wäre ungleich größer gewesen.

Datenjournalismus als machtvolles Werkzeug

Das ist nur ein Anwendungsbeispiel von datenjournalistischem Handwerkszeug. Webseiten-Scraping erschließt neue Datenquellen, die andernfalls vielleicht nicht zugänglich wären. Mit Algorithmen lassen sich Texte analysieren und Chatbots programmieren, basierend auf bestehenden Datensätzen lassen sich Programme schreiben, die bestimmte Szenarien simulieren oder neue Informationen zuordnen können. Mit Datenbanksprachen lassen sich interaktive Applikationen bauen, in denen Nutzer Daten selbst erkunden können. Statistische Analysen können helfen, Geschichten in Daten zu finden.

Das macht Datenjournalismus zu einem machtvollen journalistischen Werkzeug. Ich glaube nicht, dass jeder Journalist diese Fähigkeiten haben muss. Aber eine Vorstellung von den existierenden Möglichkeiten zu haben, ist sicher nicht verkehrt.

Die Erfassung und der Bestand von Daten wird immer weiter zunehmen; angesichts dessen ist es verschenktes journalistisches Potenzial, sich hinter „Ich war schon in der Schule schlecht in Mathe“ zu verstecken und alles, was mit Daten zu tun hat, an den „Datennerd“ der Redaktion zu delegieren.

Denn es braucht keine Programmierkenntnisse oder mathematische Begabung, um ein Grundverständnis für Daten und ihre Analyse zu entwickeln. Daten zu analysieren ist am Ende nicht anders, als wenn man sie wie einen Interviewpartner befragt. Dabei gilt für Daten etwas ganz ähnliches wie für Menschen: Sie sind — entgegen der vorherrschenden Meinung — nicht objektiv oder neutral. Sie werden immer von einer Person in einer Institution erhoben, aus einem bestimmten Grund. Außerdem werden Daten immer mit einem bestimmten Raster gesammelt. Was, wenn eine Information durch das Raster fällt? So ist bereits die Erfassung von Daten gefiltert, ein Datensatz kann dann die Realität nicht vollständig abbilden.

Datenjournalismus ist deswegen nicht allein die Visualisierung von Daten. Er fängt schon davor an, indem man die Daten und ihre Quelle befragt. Und er endet nicht mit einer Visualisierung, sondern geht dann erst richtig los: Welche Geschichten stecken hinter Mustern und Ausreißern? Welche Erklärungen haben Experten für Trends? Wie sieht die Realität von den Menschen aus, die in den Daten beschrieben werden?